Schweizer Forellen

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Lupus
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Schweizer Forellen

Beitrag von Lupus » 14.01.2020, 09:18

Auch ich habe eine Geschichte über "nicht ganz legalen Forellenfang" !!!

Wir schrieben das Jahr 1972 und meine Eltern hatten beschlossen, dass wir unseren Sommerurlaub in der Schweiz, genauer gesagt im Kanton Graubünden verbringen.

Für einen 12 –jährigen, der nur eine Leidenschaft kennt, nämlich das Fischen, waren die frühen 70er Jahre noch finsteres Mittelalter, denn es gab kaum Angebote für Jugendfischen und so waren vor Vollendung des 14. Lebensjahres, von Privatgewässern und eventuellen Mitfisch-Gelegenheiten abgesehen, die Möglichkeiten mehr als eingeschränkt, wozu noch der erschwerende Umstand kam, dass ich der einzige Fisch-Interessierte in der Familie war. Vielleicht konnte man ja meinen Angelvirus als eine Art genetischen Defekt bezeichnen.

Jedenfalls erschien mir das Urlaubsziel Schweiz sozusagen als „Gelobtes Land“, denn ich hatte von Schulkamaraden mit Verwandten in der Schweiz erfahren, dass dort Kinder ohne Lizenz (Patent nennen sie es) ohne weiteres vom Ufer fischen dürfen.

In freudiger Erwartung war ich also damit beschäftigt, mein Angelgerät mit Hingabe vorzubereiten, und als wir am Tage vor der Abreise das Gepäck in den Wagen verstauten, achtete ich kleiner Diktator geradezu akribisch darauf, dass meine Ruten und Rollen nicht durch den Druck der übrigen Koffer zu Schaden kommen könnten. Mein Vater grinste nur und sagte „geh´ Dein ganzes Glumpert da wird ja auch noch irgendwie reinpassen“, worauf ich meistens erpicht darauf war, zu betonen, dass es sich bei meiner Angelausrüstung keineswegs um Glumpert handle, sondern um Präzisionsgeräte für Zielfische, worauf mein Vater lachend erwiderte „und für mich ist es doch ein Glumpert“.

Endlich am Zielort angekommen, „mussten“ meine Eltern mit mir zunächst am ersten Tag die Fischereimöglichkeiten abklären. Zu meinem großen Schreck teilte man uns schon in der Unterkunft die starke Vermutung mit, dass im Kanton Graubünden das Fischen erst ab 16 Jahren erlaubt sein dürfte.

Mir wurde regelrecht schwarz vor den Augen und auch meine Eltern waren besorgt, da sie gehofft hatten, den ganzen Urlaub ihre eigenen Unternehmungen machen zu können, während ich am Wasser saß.

So fuhren wir sofort nach dem Frühstück zum Gemeindeamt, wo unsere Befürchtung bestätigt wurde: „In Graubünden darf die Fischerei erst ab 16 Jahren ausgeübt werden“. Gott behüte 16! Das ist ja Lichtjahre von meinem Alter (ich war im 13. Lebensjahr) entfernt. Bei 14 hätten wir es ja noch irgendwie „drehen“ können, ich sei schon 14, aber körperlich (nicht geistig!) ein wenig hinten nach, und wer verlangt im Urlaub schon einen Ausweis, aber 16 Jahre, dieses Methusalemalter konnte ich nicht einmal nur andenken.

So standen wir also in jener Amtsstube. Ich war im Gesicht weiß wie eine kalkgetünchte Wand. Meine Mutter strich mir mit Bedauern über den Kopf, was mir aber unter fischereilichen Aspekten nicht viel nützte. Mein Vater tat etwas, was mir Hoffnung erweckte. Er ging wortlos hinaus ins Freie, zündete sich eine Zigarette an und sagte vorest einmal nichts. Das war bei ihm immer ein gutes Zeichen und bedeutet, dass er irgendeinen Plan hat. Nachdem er ausgeraucht hatte, meinte er: „Was ist eigentlich, wenn ich mir diese blöde Lizenz auf meinen Namen ausstellen lasse, und Du tust einfach so, als ob Du nur mitfischst oder hilfst. Sieht ja keiner, dass ich nicht fische“. Also gingen wir wieder in die Amtsstube zurück und mein Vater sagte sehr bestimmt, er wolle eine Angellizenz. Der Bedienstete, der unsere Pläne schon durchschaut hatte, sagte noch: „Gut, Sie müssen ein Passfoto machen im nächsten Fotogeschäft und dann kommen Sie wieder. Aber es dürfen nur Sie fischen. Der Kleine da darf nur helfen, aber nicht fischen“. Nachdem mit einer Sofortbildkamera das übliche „Verbrecherfoto“ gemacht wurde (es sah grauenhaft aus, das soll mein lieber fescher Papa sein?), gingen wir wieder die Lizenz lösen und mein Vater zahlte den unverschämt hohen Preis (für Nichtschweizer der höhere Tarif umgerechnet 850 Schilling für 2 Wochen).

Ich wußte gar nicht, wie ich meinem Papa danken soll, aber er antwortete nur lakonisch „lass nur, lass nur, jedenfalls weißt Du jetzt, wie viel mir meine Urlaubsruhe wert ist“.

Ein mulmiges Gefühl hatte ich allerdings schon. Wenn ich alleine losziehe und mein Vater nicht dabei ist und ich einfach vor mich hinfische, hätte ich vor Kontrollorganen ordentlich in Erklärungsnotstand kommen können (….ich fisch eh nicht, mein Vater ist da hinten wo, der kommt gleich...) .
Es wurde daher beschlossen, dass mein Vater, ein leidenschaftlicher Liebhaber der Literatur und des Schöngeistigen, seine abendlichen Lesestunden zu einer Parkbank am Ufer des Sees verlegen werde, während ich daneben fische. Um nicht zu sehr als aktiver Fischer in Erscheinung zu treten, vermied ich das aktivere Spinnfischen und zog es vor, nur auf Grund zu angeln.

Hier muss ich als kleines Intermezzo anbringen, dass man sich als Urlaubsangler meistens über kleine Broschüren informierte, welche fast ausnahmslos die Eigenschaft hatten, hinten und vorne nicht zu stimmen. Entweder waren die Daten über Lizenzausgabestellen nicht mehr aktualisiert, oder es fanden sich auch falsche Angaben über den Fischbestand.

Ich muss dazu bemerken, dass es sich bei dem besagten See im Kanton Graubünden um einen eher kalten, glasklaren und tiefen Bergsee handelte, der in erster Linie für Forellen und Saiblinge prädestiniert zu sein schien. In dem Büchlein „Angelführer für die Schweiz“ stand bei jenem Gewässer aber: „guter Bestand an Salmoniden und AALEN!“. Ich bin mir heute sicher, dass in jenem See Aale nicht vorkamen oder vorkommen, aber das Wort „Aal“ faszinierte mich, weil ich in jenem Alter noch hauptsächlich damit beschäftigt war, Erstfische zu fangen. So hatte ich zwar am Habensoll meiner bisherigen anglerischen Tätigkeiten bereits Forellen, Karpfen, Hechte, Schleien und natürlich alle Weißfischarten verbucht, der Aal hingegen fehlte mir noch. Die Beschreibungen in meiner kleinen Anglerfibel als „nachtaktiver Räuber, der sich an der Angel kräftig wehrt“ erschienen mir jedoch verlockend und die Aussicht, bei Dunkelheit so ein kraftwindendes schlangenähnliches Monster ans Ufer zu befördern, bereitete mir schon, seit ich anglerisch denken konnte, einen gewissen wohligen Schauer.

Also sollten es Aale werden, wenn in dem Buch doch stand, dass es sie gäbe. So suchte ich brav wie ich es gelernt hatte, bei Dunkelheit im Garten der Pension mit der Taschenlampe reichlich Tauwürmer und stellte mein „aalsicheres Gerät“ zusammen: 2,10m Vollglasrute kräftig, Trixi-Stationärrolle mit 0,40er Peryl, Laufblei von 60g und großer Einzelhaken am Vorfach.

Am folgenden Abend, bei Einbruch der Dunkelheit zog ich mit meinem Vater los. Er wollte im Schein der Seeparkbeleuchtung ein Buch lesen und ich wollte „Aale fischen“.

Also pfefferte ich die schwere Laufbleimontage so weit es ging hinaus in den See, das starke Peryl rasselte über die Spule, das schwere Blei klatschte auf die Wasseroberfläche und schoss hinunter in die unergründlichen Tiefen. Wie ich es im Fachbuch „Das ist Grundangeln“ gelesen hatte, spannte ich die Schnur, stellte die Rute zwischen den Ufersteinen steil auf und wartete darauf, dass die Rutenspitze kräftig ausschlagen würde.
Der geschätzte Leser, soferne er nur ein wenig von der Fischerei versteht, wir nachvollziehen, dass eine schwere Laufbleiangel, irgendwo in die Tiefen eines Alpensees versenkt, nicht gerade die erfolgreichste Methode ist, nicht einmal wenn es Aale gäbe, zumal diese bei Dunkelheit sicher eher im Uferbereich nach Nahrung suchen würden. Dass es in dem See nicht einmal Aale gab, konnte ich nicht wissen, würde aber erschwerend noch hinzukommen.

Unbelastet von diesen unwiderlegbaren Tatsachen wartete ich doch hoffnungsfroh auf den ersehnten Biss, und ob man es glaubt oder nicht, plötzlich gab es einen kräftigen Ruck in der harten Vollglasrute und sie bog sich durch! Ich schlug an und spürte in der Dunkelheit einen starken Fisch, der irgendwo draußen in der Tiefe wütete. Mir kam nur merkwürdig vor, dass er nicht diese schlangenartigen Windungen veranstaltete, die ich beim Aal vermutet hätte.

Endlich sah ich schemenhaft im dunkeln Wasser kurz vor dem Ufer einen schönen Fisch herumschlagen, konnte aber noch nicht erkennen, was es war. Mein Vater, der auf das Geschehen aufmerksam geworden war, obwohl ihn sonst die Fischerei nicht interessiert, fragte mich recht aufgeregt, ob er mir helfen könne. Ich bat ihn nur, mir den Kescher („Papa, nicht den Setzkescher, sondern den Kescher, das ist dieses Netz am Stiel“ ) zu reichen. Und schon lag die schöne Beute vor uns und wurde im Schein der Uferlaterne begutachtet. Es war eine herrliche Bachforelle, an die 50 cm lang, ganz dunkelgrün gefärbt mit einem auffällig zitronengelben Bauch und winzig kleinen dunkelroten Punkten, offensichtlich eine lokale Farbvariante dieses tiefen kalten Sees. Der doch für einen so edlen Fisch recht schnöde Wurmköder war tief verschluckt. Nachdem ich den Fisch versorgt hatte, gingen wir Richtung Pension zurück. Meine Mutter kam uns auf der Uferpromenade entgegen und mein Vater, der geborene Nichtangler verkündete stolz: „Schau was WIR da haben!“.

Die große Forelle fand auch in der Küche unserer Ferienpension große Beachtung und ich war sehr stolz auf diesen ungewöhnlichen Urlaubsfang, der vergleichsweise allerdings auch der einzige in dieser Größenordnung blieb.
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Re: Wie es früher war

Beitrag von Romario » 14.01.2020, 12:49

@Lupus
Jawohl, genau solche Stories wollen wir hier lesen - jugendliches Schwarzfischen wie es im Buche steht.
Danke für die nette Geschichte. Und am schönsten finde ich, dass du den Fisch noch genau beschreiben kannst - sowas brennt sich ein :)
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Re: Wie es früher war

Beitrag von Lupus » 14.01.2020, 12:53

Romario hat geschrieben:
14.01.2020, 12:49
@Lupus
Jawohl, genau solche Stories wollen wir hier lesen - jugendliches Schwarzfischen wie es im Buche steht.
Danke für die nette Geschichte. Und am schönsten finde ich, dass du den Fisch noch genau beschreiben kannst - sowas brennt sich ein :)
greets
Danke. Trotzdem glaube ich, und @grusteve hat sich dem auch angeschlossen, dass Geschichten, die länger sind, also auch so wie Deine vorhin mit dem Gewerkschaftsheim, besser als eigene Story aufgehoben sind, als in einem Sammelthread.

Und ja, dass ich den Fisch noch so genau beschreiben kann liegt auch daran, dass es mir in jahrzehntelangem Salmonidenfischen auf waidgerechte Art nicht mehr gelungen ist, diese Bachforelle zu toppen. Ich fische in nicht allzugroßen Voralpenflüssen/Bächen und die 50er Marke konnte ich noch nicht knacken. Daher blieb diese mit "Fremdlizenz" als 12 Jähriger gefangene "Wurmforelle" wohl auch zähneknirschend für fast 50 Jahre mein PB 8)

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